Mutmacherin Anke Ames von Querformat e.V.

© Anke Ames

© Anke Ames

1. Wer seid ihr und was waren die Beweggründe für die Gründung unserer Initiative?

Der Verein Querformat e.V. wurde im Jahre 2008 von Ulrike Korbach (Filmemacherin), Roland Borch (Ingenieur und Musiker), Claudia Verhasselt (Rechtsanwältin) und mir (Musikerin, Komponistin, Dichterin) gegründet. Wir kamen aus der Arbeit in dem Landesprogramm „ Kultur und Schule“ und wollten die dort entwickelten Konzepte einer sozialen Kunst weiter entwickeln und vertiefen.
Der Verein Querformat e.V. führte im Jahr 2013 das Projekt „Der Besuch der Dame“ in Kooperation mit der Gesamtschule Langerfeld, Wuppertal, durch. Bereits seit 2010 gibt es eine nahezu jährlich stattfindende Filmproduktion an der Gesamtschule Langerfeld mit der Filmemacherin Ulrike Korbach und dem Theaterpädagogen Detlev Leuschner. Seit 2013 ist zudem im Rahmen von „Kultur macht stark – Bündnisse für mehr Bildung“ ein Bündnis entstanden, bestehend aus
– dem Verein Querformat e.V., Dortmund, (verantwortlich für die künstlerische Leitung und vertreten durch Ulrike Korbach und Detlev Leuschner), der Gesamtschule Langerfeld, dem Sozialdienst katholischer Frauen SKF, dem Förderverein der Gesamtschule Langerfeld und dem Haus der Jugend Barmen.


Es entstand der erste Kurzspielfilm „Besuch der Dame“ angelehnt an den Dürrenmatt Klassiker „Besuch der alten Dame“. Themen waren der Umgang der Schüler mit Verantwortung, Loyalität, Gruppendynamik oder Existenzängsten.
Des Weiteren konzipierte Querformat e.V. das Projekt „Musik liegt in der Luft“. In diesem Dokumentarfilmprojekt sollen Senioren mit Mitteln des Musizierens ihre Lebensfreude ausdrücken, um so Zugang zu ihren Lebensgeschichten zu erhalten und andere ältere Menschen zu einer aktiven Gestaltung des letzten Lebensabschnittes zu ermutigen. Das Projekt wurde von Ulrike Korbach und mir 2014 umgesetzt.
Aktuell initiierte ich die Musikwerkstatt „at home“ für Menschen mit Fluchtgeschichte im Flüchtlingsheim Adlerstr. in Dortmund. In Zusammenarbeit mit Rainer Winkler, Percussion, wird mithilfe von Trommeln, Stimme, Dirigat, Viola, Violine, Querflöte unmittelbar musiziert, improvisiert und kom-provisiert. Ziel ist es, Kommunikationsmöglichkeiten außerhalb von Sprache freizulegen, die Lebensfreude der Menschen wiederzubeleben und ihnen außerdem Fähigkeiten in der ältesten Kommunikationstechnologie, die es gibt zu vermitteln, der Musik. Die musikalische Improvisation ist Wurzel und Quelle jeder Komposition, die ursprünglichste Musik überhaupt, weltweit. Sie erfüllt sich im Austausch, im miteinander Musizieren, im Agieren und Reagieren. Es ist eine ausgesprochen integrative Musik, an der Laien ebenso wie Profis unmittelbar partizipieren können. Sie entzieht sich unserem herkömmlichen, oft so destruktiven Instrumentalunterricht und seinen Kategorisierungen von „ richtig“ und „falsch“. Learning by doing, sozusagen. Was braucht einer, um mitmachen zu können? Eine ehrliche Selbsteinschätzung. Die Regel ist: Ich spiele nur, wenn ich etwas zu sagen habe, ansonsten höre ich zu, höre hin und schweige. Eine anspruchsvolle Regel, die man sich auch im politischen Diskurs wünscht.
Diese Musik gibt es schon lange, seit den 1950ger Jahren. Ihre Klangbilder sind ungewöhnlich, erinnern an Partituren Neuer Musik. Man muss sich einhören, es ist eine ausgesprochene Live-Musik. Auch in der Musiktherapie spielt sie eine Rolle, wir sind uns dieser Grenzbeziehungen bewusst, uns selbst jedoch sicher, kein therapeutisches, sondern künstlerisches Projekt zu gestalten.

2. Was konntet ihr erreichen, wo seid ihr auf Hindernisse gestoßen?

Bei dem Projekt „ at home“ waren die Hindernisse die Vorurteile im eigenen Kopf und Herzen, auch Ängste, die von Bekannten und Freunden an uns herangetragen worden sind. So hörte ich immer wieder, ich könne dieses Projekt als Frau nicht allein durchführen, weil ich bei der vorwiegend männlichen, arabischen Klientel keine Akzeptanz finden würde. Abgesehen davon, dass es einen Qualitätssprung darstellt, mit Rainer Winkler zusammen zu arbeiten und die Trommeln zur Verfügung zu haben, habe ich gleich in der 1. Stunde das Gegenteil erlebt: Die vorwiegend jungen, syrischen Männer ließen sich ohne weiteres von mir musikalisch dirigieren. Sie hatten auch keine Scheu, ihre Stimme einzusetzen. Es war ein Fest, eine Feier!
Die Dortmunder Musikschule versucht zu erreichen, dass alle Flüchtlinge kostenlos ein Instrument erlernen können. Wir kooperieren. Katharina Eixler, Studentin der Sozialpädagogik, schreibt eine Arbeit über die Werkstatt und bringt einem jungen Teilnehmer das Spiel auf der Querflöte bei. Der Dortmunder Musiker Richard Ortmann nahm spontan an der Werkstatt teil und präsentierte sein Schrottofon, mit dem er in der Vergangenheit bereits Musikpreise erringen konnte. Roland Borch und Guido Schlösser partizipieren spontan. Für die Kinder reservieren wir Zeit und Spielanregungen exklusiv.

3. Welchen Rat könnt ihr anderen geben?

Ich, Anke, würde jedem Menschen raten, seinen „Stern“ zu entdecken und zu verfolgen. Das hat nichts mit Einbahnstraßen-Denken oder dergleichen zu tun oder rücksichtslosem Handeln. Wenn ich weiß, wer ich bin, was ich will, und wie ich leben will, finden sich immer Möglichkeiten der Zusammenarbeit, der Kooperation, der Unterstützung, auch das nötige Geld. Darauf beziehen sich auch Programme wie „ Kultur und Schule“. Wer kulturschaffend ist, kommt um die Selbstreflexion nicht herum und um die oben erwähnten Fragen. Und dass Kultur etwas ist, was nur „für die Reichen“ ist, ist eine Mär, die immer wieder erzählt wird. Es gibt eine historisch verbürgte Geschichte aus dem von den Nazis besetzen Leningrad. Man hatte einmal die Woche eine Radiosendung, in der Dichter und Musiker auftraten, um Texte und Musik darzubieten. Als diese Sendung zwecks Ressourcen gestrichen werden sollte, war eine Mehrzahl der Einwohner Leningrads bereit, ihre Lebensmittelration zu kürzen, damit die Sendung fortbestehen konnte. Auch eine Erfahrung, die ich vor ein paar Jahren gemacht habe, weist in die Richtung, dass Kultur etwas schafft, was Macht hat. Ich musste einfach aus meiner Wohnung heraus und ging in eine Gaststätte in der Nähe. Ich bestellte mir eine Flasche Mineralwasser, setzte mich an einen Tisch in die Ecke und begann, mit Bleistift an einer grafischen Partitur zu zeichnen. Vorn am Tresen wurde getrunken. Nach einer Stunde ungefähr kam der Wirt auf mich zu und forderte mich auf, zu bezahlen und zu gehen. Bevor ich das tat, schenkte ich ihm eine Zeichnung. In den nächsten Tagen erfuhr ich, dass ich Hausverbot habe. Man gab mir keine Begründung. Leider ist die Geschichte damit nicht beendet. In den ersten Dezemberwochen hörte ich, dass die Wirtin dieser Gaststätte Suizid begangen habe.
Das ist also der ganze Themenkomplex, in dem man sich befindet, wenn man Künstlerin ist.

4. Was muss sich ändern, damit Initiativen wie eure erfolgreicher sein können?

Musikalisch gesehen, müssten die Leute von ihren Fernsehern und Computern aufstehen und das Abenteuer suchen, etwas Neues, Nahrhaftes, Authentisches erleben wollen. Es müsste Kultur-Scouts geben, die Kultur vermitteln, aufbereiten, wahrnehmbar machen, und zwar gerade Kultur außerhalb von Millionen- Subventionen und Opernhäusern. Wir arbeiten kulturell mit Kindern und Jugendlichen und unser Ziel ist es, Kultur als Brot zu sehen, als Nahrung für den Geist, die Sinne. Kultur als etwas, das in einem Prozess ständig entsteht, das in einem Dialog entsteht, und auf einen zurück wirkt, als Qualität….Die Musik müsste ihre Museums/ ihren Konserven-Charakter verlieren, hin zu Lebendigkeit, Atem, Gegenwart….weg von der Kontrolle, hin zu Vertrauen. Und es müsste das Bedürfnis nach heilen Welten, seifigen Welten nachlassen, um das Heile und Ganze in dem, was ständig passiert, zu entdecken und sich daran zu orientieren, sich daran aufzurichten. So möchte ich die syrischen Newcomer in ihrer Größe zum Klingen bringen, trotz und wegen ihrer vielleicht traumatischen Erlebnisse.

5. Was erwartet ihr von unserer Initiative Demokratie Plus?

Ich habe Demokratie plus auf einer Veranstaltung in Dortmund kennen gelernt. Ich verfolge seit Jahren mit Besorgnis, wie undemokratische Vereine, Gesellschaften, Strukturen von meiner Umwelt als der Demokratie überlegen betrachtet werden. Dass hierarchische, undemokratische Strukturen als wirksamer, schlagkräftiger, durchsetzungsfähiger, mächtiger…gelten. Ich möchte dem etwas entgegensetzen und schließe mich Menschen an, die das ähnlich sehen. Auch die Ökonomisierung der Gesellschaft bis in ihre kleinsten Nischen hinein empfinde ich als Bedrohung demokratischer Grundgedanken.

Anke Ames, lebt in Dortmund und arbeitet als Musikerin, Dichterin, Komponistin und Fragment-Künstlerin. Sie hat Literaturwissenschaften, Philosophie und grafische Komposition studiert. Für ihre Gedichte hat sie zahlreiche Lyrik-Preise erhalten. Sie folgt dem Motto: Leben lassen und leben.

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