Mutmacherinnen Anne Wizorek, Nicole von Horst und Jasna Strick von #aufschrei

© Grimme-Institut Jens Becker

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1. Wer seid ihr und was waren die Beweggründe für die Gründung eurer Initiative?

Wir sind die Initiatorinnen des Hashtags #aufschrei: Anne Wizorek, Nicole von Horst und Jasna Strick. Eines Nachts im Januar 2013 begann Nicole auf Twitter mit der Beschreibung sexualisierter Übergriffe, die sie erlebt hatte. Gemeinsam mit Anne und Jasna entstand eine Diskussion zum Thema und die Aushandlung des Hashtags, wobei Anne schließlich #aufschrei vorschlug. Der Hashtag wurde danach viele tausend Male von unterschiedlichen Twitter-User*innen verwendet, um über Sexismus und sexualisierte Gewalt zu sprechen. Das Thema wurde in anderen sozialen Netzwerken und den klassischen Medien aufgegriffen und bildete den Grundstein für eine deutschlandweite Debatte. Wir sind demnach keine klassische Initiative, sondern vielmehr Teil einer Bewegung bzw. Initiatorinnen einer Ad-Hoc-Kampagne.

2. Was konntet ihr erreichen, wo seid ihr auf Hindernisse gestoßen?

Durch #aufschrei wurde eine längst überfällige landesweite Debatte zu Alltagssexismus angestoßen, die auch immer noch nicht vorbei ist. Sexismus galt in der allgemeinen Wahrnehmung als abgehaktes Problem. Nicht zuletzt dadurch, dass wir eine Frau als Kanzlerin haben und dadurch für manche der Eindruck entstand, es gäbe in Sachen Geschlechtergerechtigkeit nichts mehr zu erreichen. Dabei haben wir es, auch wenn in Deutschland bisher viel erreicht wurde, immer noch mit (kaum saktionierter) sexualisierter Gewalt zu tun, mit fehlender Vereinbarkeit von Beruf und Familie (für sämtliche Geschlechter), unzureichender Bezahlung von „frauentypischen“ Berufen, verstärkter Altersarmut von Frauen etc.

Ein Problem kann man aber eben erst angehen und es auch lösen, wenn drüber gesprochen wird: #aufschrei hat in erster Linie also ein Tabu gebrochen.

#aufschrei wurde 2013 auch als erster Hashtag überhaupt mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnete ein Drittel mehr Anfragen von Betroffenen aufgrund der #aufschrei-Debatte. Das Wichtigste ist jedoch, dass Betroffenen durch #aufschrei eine Stimme gegeben wurde, um über Erfahrungen zu sprechen, die leider weiterhin banalisiert sowie tabuisiert werden und bei denen Betroffenen auch noch die Schuld dafür gegeben wird.

Die Hindernisse sind unterschiedlicher Natur. Dazu gehört natürlich auch, dass wir, die als feministische Aktivistinnen in den Medien sichtbar wurden, dafür – besonders online – stark angegriffen wurden und bis heute Hate Speech ausgesetzt sind. Diese übers Netz transportiere Gewalt ist ebenso Symptom des strukturellen Problems Sexismus und schränkt ganz klar die Meinungsfreiheit von Menschen ein, die Diskriminierungen erfahren und ihre Erfahrungen mit Hilfe des Internets sichtbar machen.

Auch wurde in der medialen Debatte deutlich, dass zum Thema Sexismus eher mit „gefühlten Fakten“ gearbeitet wird statt z. B. mit wissenschaftlichen Studien, die das Problem struktureller Diskriminierung eindeutig bestätigen. Außerdem wurde antifeministischen Beiträgen wieder sehr viel mehr Raum gegeben und sie als valide Gegenposition dargestellt, um angeblich eine „ausgeglichene“ Debatte erreichen zu wollen. Das ist Teil des Backlash’, also der Rückwärtsbewegung die nach progressiven Entwicklungen einsetzt. Allein das zeigt sehr deutlich, dass selbst bereits erkämpfte Rechte immer wieder zum Verhandlungsgegenstand werden können, wenn dem Backlash nichts entgegengesetzt wird.

3. Welchen Rat könnt ihr anderen geben?

#aufschrei hätte ohne ein Netzwerk aus Gleichgesinnten niemals das werden können, was es wurde. Ein solches Netzwerk ist aber ohnehin unerlässlich, nicht nur für Aktivist*innen. Es unterstützt und fängt auf, wenn man nicht mehr weiter weiß oder vielleicht sogar attackiert wird. Wer eine Hashtag-Kampagne plant oder auch eher ad hoc Teil einer solchen wird, sollte sich gerade bei der Thematisierung von Diskriminierungserfahrungen bewusst sein, dass dies leider auch zu Angriffen von anderen Plattformnutzer*innen führen kann (und höchstwahrscheinlich wird). Insofern sollte immer auch Raum für Pausen eingeplant sein, Hasskommentare dokumentiert werden und der Blockfinger großzügig zum Einsatz kommen. Ihr schuldet Menschen keine Antwort, nur weil ihr vielleicht auf Twitter über etwas gesprochen habt – erst recht nicht, wenn es sich um Beleidigungen und Drohungen handelt. Unterschätzt nicht, was dieses verstärkte Ausmaß an Negativität bewirken kann und habt auch immer Kontakt zu Leuten, die euch notfalls offline erst mal auffangen können.

4. Was muss sich ändern, damit Initiativen wie eure erfolgreicher sein können?

Hashtag-Initiativen eignen sich sehr gut, um den Austausch unter den Beteiligten zu fördern, aber wollen und sollen auch Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken. Aufmerksamkeit durch klassische Medien und politische Entscheidungsträger*innen ist jedoch nicht einfach zu erreichen, denn in Deutschland sind soziale Medien als politisches Beteiligungsinstrument noch in den Kinderschuhen. Politiker*innen, die interessiert sind an Perspektiven, die ihnen sonst weniger leicht zugänglich sind, müssen das Internet viel stärker nutzen – gleiches gilt für Journalist*innen.

Was #aufschrei speziell angeht: Mediale Berichterstattung, die Themen bis zur Unkenntlichkeit beschneidet und, wie beispielsweise in unserem Fall, wichtige marginalisierte Perspektiven verschweigt / verkürzt darstellt, erfüllt ihren Zweck nicht. Gerade wenn es um politisch und gesellschaftlich brisante Themen geht, müssen Journalist*innen viel stärker von ihrer Gate-Keeper-Position abrücken bzw. sich dieser bewusst werden. Wenn das geschehen wäre, hätten wir nach #aufschrei eben auch über die Verschränkung von Sexismus und Rassismus oder Sexismus und Homofeindlichkeit usw. gesprochen.

5. Was erwartet ihr von unserer Initiative Demokratie Plus?

Einen Anlaufort für einen respektvollen Austausch um die Chancen und Grenzen demokratischer Partizipation zu diskutieren und Menschen auch wieder verstärkt zu mobilisieren. Wir wünschen uns mit Demokratie Plus auch eine Initiative, die Internet und Offline-Welt nicht getrennt denkt, sondern klar deren Verschränkungen sieht, diese entsprechend ernst nimmt und Lösungsansätze entwickelt um Meinungsfreiheit offline wie online zu ermöglichen.

 

Anne Wizorek (34) ist selbstständige Beraterin für digitale Medien, Autorin und feministische Aktivistin. Sie lebt in Berlin und ist Gründerin des Gemeinschaftsblogs kleinerdrei.org. Der von ihr initiierte Hashtag #aufschrei stieß im Jahr 2013 eine Debatte zu Alltagssexismus an und wurde dafür als erster Hashtag mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. 2014 erschien im Fischer Verlag ihr Buch „Weil ein #aufschrei nicht reicht – Für einen Feminismus von heute“, in dem sie eine moderne feministische Agenda entwirft. Seit Mai 2015 ist sie Mitglied der Sachverständigenkommission für den 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung.

Nicole von Horst Nicole von Horst, geboren 1987. Lebt in Frankfurt, schreibt ins Internet, studiert American Studies und Soziologie. Bloggt u.a. auf kleinerdrei.org über Serien, DIY und reproduktive Rechte.

Jasna Strick ist netzaktive Feministin, Autorin und schreibt für das Gemeinschaftsblog www.derkeineunterschied.de über queer-feministische Gesellschaftspolitik und Netzfeminismus.

 

Ein Gedanke zu “Mutmacherinnen Anne Wizorek, Nicole von Horst und Jasna Strick von #aufschrei

  1. Warner, Klaus Ulrich

    Männer, vielleicht ja auch Frauen, die Dinge tun, die geeignet sind, als Sexismus deklarieren zu werden, haben in der Regel ein defizitäres Selbstwertgefühl und haben wohl oder übel nicht die Fähigkeit entwickelt auf andere Art und Weise aufzutreten. Darüber hinaus fehlt es an ausreichender Selbstreflexin und Empathie.

    Derartiges Auftreten ist außerdem nicht salonfähig und die Akteure können damit nach außenhin wohl kaum prahlen, weil sie ja auch selbst wissen, dass sie eine Grenze überschreiten. Sie bauen auf den Schutz der relativen Anonymität, weil Opfer zu oft aus Scham schweigen.

    Ein Weg zur Eindämmung von Sexismus ist das „Öffentlichmachen“ im Umfeld der Grenzverletzer. Die Angst vor Öffentlichkeit würde Sexismus eindämmen.

    Sexismus muss unbedingt Stigmatisiert werden und bedarf der öffentlichen Debatte.

    Genau richtig! Mutmacherinnen Anne Wizorek, Nicole von Horst und Jasna Strick von #aufschrei.

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