Vor zwei Jahren trat Dirk in eine Partei ein, er engagierte sich, er ging zu fast allen Treffen, er diskutierte mit, er mochte viele seiner Parteikollegen und dennoch trat er nach zwei Jahren wieder aus.
Dirk bezeichnet sich selber als „Durchschnittsbürger“: geboren wurde er 1968 in Ostberlin, dort schloss er die 10. Klasse ab, machte eine 2-jährige Lehre und arbeitet seitdem als Fahrer bei der U-Bahn. Auch „ohne Studium und Abitur“ wollte er Hintergründe erfahren, sich selber eine Meinung bilden und eigene Vorstellungen und Ideen umsetzen. Hier sein Austrittsschreiben (geringfügige Änderungen zum Original, es geht nicht darum aus welcher Partei er genau austrat, es könnte wohl jede sein):
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit kündige ich meine Mitgliedschaft.
Auch wenn ich mich in meinem Ortsverein sehr wohl gefühlt habe und dort sehr gute Vorraussetzungen vorgefunden habe, um mich gestaltend einbringen zu können, so gibt es doch Gründe, die das verhindern. Mir ist klar geworden, dass nur Menschen, die zur gesellschaftlichen Elite zählen (was Auffassungsgabe, komplexes Denken und Intellekt angeht) politisch etwas bewegen können. Da kann ich nicht mithalten.
Und diese Menschen brauchen eine sehr hohe „Frustschwelle“ um etwas zu bewegen, weil man selten etwas auf Anhieb durchbringt. Vor allem, je weiter unten einer in der Hierarchie steht. Denn letztlich entscheiden immer die Mächtigsten mit dem stärksten politischen Netzwerk, was gemacht wird, auch wenn es nicht unbedingt der Mehrheitsmeinung entspricht und u.U. auch unausgewogen ist, so dass zum Beispiel nur die Belange der Wirtschaft berücksichtigt werden. Und an diesem System hat sich bis heute leider nichts geändert weswegen das Mehr an Demokratie durch Mitgliederbefragungen und bei Wahlen für bestimmte Ämter für mich wenig Wert hat.
Kommunalpolitik will ich davon mal ein stückweit ausnehmen. Denn über die Bürgerbüros besteht ja doch ein gewisser Kontakt zu den Menschen, wo man von deren Problemen erfahren kann und die Interessenlage ist wegen des relativ geringen Einflußbereiches noch einigermaßen übersichtlich, denke ich mal.
Doch leider ist die Kommunalpolitik sehr stark von der Landespolitik und diese von der Bundespolitik abhängig, und dort besteht das o.g. Problem besonders.
Ich habe mal kurzzeitig in einer Arbeitsgruppe für mehr Partizipationsmöglichkeiten mitgearbeitet. Eine riesige Enttäuschung. Da durfte ich erfahren, daß man einen Antrag stellen wollte, um die Umsetzung eines Parteitagsbeschlusses, ich glaube aus dem Jahr 2010, zu erzwingen, in dem es darum ging, sich auch online an Unterschriftensammlungen beteiligen zu können.
Das zeigt mir deutlich, daß Partei-Führung keinerlei Interesse an einer stärkeren Mitgliederbeteiligung hat, wenn Parteitagsbeschlüsse, die dies erleichtern sollen, einfach nicht umgesetzt werden.
Stattdessen durften wir darüber beraten, wie ein Kreisvorsitzender von möglichst vielen Mitgliedern gewählt werden kann, um wenigstens einen Hauch von Demokratie bei dieser Veranstaltung zu versprühen. Dabei macht das keinen Sinn. Was nützt einem Kandidaten eine breite Unterstützung der Basis, wenn er nicht das poltische Netztwerk vorweisen kann, das zur Umsetzung seiner Politik notwendig ist. Die meisten derer, die den Kandidaten gewählt haben, wissen kaum etwas von ihm und können ihn bei der Durchsetzung seiner politischen Ziele nach der Wahl nicht mehr unterstützen. Da ist es doch sinnvoller, wenn ein Kreisvorsitzender von denen gewählt wird, die mit ihm zusammenarbeiten oder ihn zumindest politisch unterstützen können.
Dafür fand ich die Idee der o.g. Arbeitsgruppe fortschrittlich, zu wichtigen Themen jeweils ein Forum einzurichten um dort Sachverstand und Unterstützng für gute Problemlösungen zusammenzubringen. Ganz im Sinne des Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2013, um dem überbordenden Lobbyismus Einhalt zu gebieten, wie dort zu lesen war.
Heute scheint das völlig vergessen, wahrscheinlich bis 2017, um es dann wieder ins Wahlprogramm nehmen zu können. Bloß, wer soll das dann noch glauben. Natürlich müßte so ein Forum richtig gestaltet und gepflegt werden, was sicher nicht einfach ist. Aber ein Testforum für ein bewegendes Thema, um Erfahrungen zu sammeln, wäre schon längst machbar gewesen. Das wäre nicht nur für den Gedankenaustausch selbst gut, sondern würde auch Menschen wie mich bei Interesse in die Lage versetzen, sich in ein Thema leichter einarbeiten zu können und dann auf diesem Wege aus meiner Sicht gute Vorschläge auch zu unterstützen, denn nur so macht die Beschäftigung mit einer Problematik für mich Sinn. Auch wäre das eine Möglichkeit, Politik nicht nur mit der gesellschaftlichen Elite, sondern auch mit den „Normalbürgern“ zu verbinden, glaube ich. So könnten auch Basismitglieder in die Lage versetzt werden, Politik zu erklären und dem einfachen Politikdenken vieler Bürger, was sich Populisten oft zu eigen machen, entgegenzuwirken. Allerdings glaube ich nicht, daß so etwas sinnvoll umsetzbar wäre, weil zu viel geheim ist und diese Fakten nur den mit der Sache Betrauten zur Verfügung stehen und vor allen anderen geheimgehalten werden. Gute Lösungen lassen sich aber nur finden, wenn man alle Fakten kennt. Deshalb habe ich nicht das Bedürfnis zu versuchen, mich gestaltend in die Partei einzubringen.
So gesehen fällt mir nicht ein Argument für eine Mitgliedschaft ein.
Finanziell unterstützen kann ich die meinen Ortsverein mit einer Spende, wenn er sich in meinen Augen hervorgetan hat. Unterstützen bei Wahlkämpfen, Demos, Parteiwerbung u.ä. kann ich auch ohne Mitgliedschaft. Und wenn mir etwas auf der Seele brennt oder ich glaube, eine geniale politische Idee zu haben, kann ich ins Bürgerbüro gehen und mein Anliegen dort vortragen. Was dann daraus gemacht wird, liegt außerhalb meines Einflusses, genau wie jetzt auch. Mehr Möglichkeiten habe ich als Durchschnittsbürger ob mit oder ohne Mitgliedschaft sowieso nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk N.
Lieber Dirk,
jede Partei sollte sich um dich streiten! Nicht weil die Mitgliederzahlen sinken, sondern weil dein Engagement, deine Neugier, deine Ideen und deine Bereitschaft sich aus verschiedenen Blickwinkeln einem Thema kritisch zu nähern, Politik bereichern.
Lieber Dirk, bitte bleib politisch! Setze dich ein, wenn dir etwas gegen den Strich geht, informiere dich weiter.
Die Demokratie braucht dich!
Viele Grüße,
Anne