So einig wir Demokratie Plus-Autor*innen uns an vielen Punkten sind, so verschieden sind unsere Meinungen an anderen. Besonders leidenschaftlich wird die Diskussion, wenn es um Themen wie Wahlpflicht oder Volksentscheide geht. An diesen Diskussionen wollen wir euch gerne teilhaben lassen. Gregor Hackmack ist ein ausgewiesener Volksentscheid-Vetreter (er war im Landesvorstand von Mehr Demokratie e.V. und hat sich auch schon in Büchern damit auseinander gesetzt), während ich da noch meine Zweifel habe…
Es gibt einige Pro-Contra-Listen zu diesem Thema, wir versuchen uns über diese einschlägigen Argumente hinaus der Frage zu nähern.
Lieber Gregor,
bei unseren Demokratie+-Treffen gerätst du in euphorisches Schwärmen, wenn du von direkter Demokratie und Volksentscheiden sprichst, bei mir hingegen siehst du ein nervöses Zucken um die Mundwinkel, denn ja ich gebe es zu: ich bin ein Volksentscheid-Skeptiker, ein Ja-aber-Sager.
Ja, ich bin für Mitbestimmung, für Bürgerbeteiligung, für demokratische Eigenverantwortung. Ja, ich glaube auch an die „disziplinierende“ Wirkung auf die Politik und an positive Anreize für die Bevölkerung. Aber ich hab auch Zweifel und viele Fragezeichen, wie genau Volksentscheide ausgestaltet werden können.
Ein paar von meinen Zweifeln möchte ich hier mit dir teilen. Vielleicht kannst du Sie mir ja nehmen?
Ich werfe dabei ein wenig Bundes-, Landes- und Kommunalebene in einen Topf, bitte sieh es mir nach.
Volksbegehren zur Umsetzung sozialer Politik?
Warum wird eigentlich ausgerechnet von links der Mitte direkte Demokratie gefordert? Zur Umsetzung „linker“ Inhalte sind Volksbegehren meist ungeeignet.
Zum einen wohnt den Volksbegehren eine Pro-Status-quo-Tendenz inne. D.h. es wird eher eine bewahrende/konservative Politikrichtung umgesetzt, Reformen und Veränderungen haben damit weniger Chancen(s. S. 5 und Schweizer und kalifornische Beispiele). Insbesondere schmerzhafte (grade deshalb ja oft notwendige) Reformen haben gute Chancen genug „Gegner“ zu finden um sie zu verhindern oder zumindest so lange hinauszuzögern, bis der Reformzweck nur mehr unzureichend erfüllt wird.
Besonders Widersprüchlich für „linke“ Politik durch Volksentscheide ist, das Volksentscheide die Partizipation der unteren sozialen Schichten benachteiligt, also genau die Menschen, für die Politik und Rahmensetzung besonders wichtig ist. Das bekannteste Beispiel hierfür ist sicherlich der Hamburger Volksentscheid von „Wir wollen lernen“. Ich glaube dieser Punkt macht mir die größten Bauchschmerzen bei Volksentscheiden, denn er manifestiert die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Bildungsbürgertum und Bildungsverlierern anstatt sie zu schließen.
Auch Populismus (wie sich aktuell wieder zeigt, besonders heimelig rechts der politischen Mitte) hat durch Volksentscheide gute Chancen (ob bessere als mit Horst Seehofer lasse ich mal dahin gestellt).
Sowohl auf mehr-demokratie.de als auch in deinem Buch wird argumentiert, dass all zu populistische Forderungen wie die Todesstrafe für Sexualstraftäter (eine Abstimmung, die bei zeitlicher Nähe zu einem medienwirksamen Fall durchaus erfolgreich ausgehen könnte) oder zum Asyl nicht umgesetzt/nicht abgestimmt werden würden, da sie durch das Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig verworfen würden.
Zum einen halte ich das Ausspielen der Judikative gegen den „Volkswillen“ für gefährlich für die Akzeptanz der Gewaltenteilung, zum anderen ist es schlicht nicht konsequent zu sagen: Wir wollen, dass das Volk bestimmt, aber nicht in den und den Punkten. Das Ansehen der Gerichte/Richter in Deutschland ist vergleichsweise hoch (insbesondere in Bezug zum Vertrauen in die Politik), dieses zu gefährden halte ich für falsch.
Politik aus einem Guss
Mich stört an der aktuellen Politik, dass sie oft nicht konsistent ist. Da gibt es gleichzeitig ein Kitaausbauprogramm und gleichzeitig wird (wurde) Frauen, die zur Kinderbetreuung zuhause bleiben Geld dafür bezahlt, dass sie es tun. Da wird sich für das Grundrecht auf Asyl ausgesprochen, aber gleichzeitig die Wege zur legalen Einwanderung noch weiter reduziert.
Ich möchte Politikern und Parteien gerne die Zeit geben eine Politik nach ihren Leitlinien zu machen und nach vier Jahren bewerten wie sie das gemacht haben. Sie stehen dann in der Verantwortung für das was sie machen. Wenn sie in diesen vier Jahren zu stark mit der Umsetzung von Volksbegehren und dem verhandeln mit Volksinitiativen beschäftigt sind, ist es deutlich schwerer eine Politik mit eigenem Markenkern zu machen, für die sie dann auch in der Verantwortung stehen und Wieder- bzw. Nicht-wieder-gewählt werden können. Das kennt man doch aus dem Berufsleben, wenn viele verantwortlich sind, ist es letztlich keiner wirklich.
Wasch mich – aber mach mir den Pelz nicht nass
In Berlin besteht eigentlich Einigkeit: mehr günstigen Wohnraum braucht die Stadt. Aber bitte keine Bebauung der Freifläche genau vor meinem Fenster. Jedes größere Bauprojekt der Senats kämpft sich durch Volksinitiativen (oder verliert in Volksbegehren) der Anwohner. Es braucht hier eine Mitsprache und Mitbestimmung der Anwohner, ganz klar. Aber es braucht eben auch jemanden, der eine Abwägung trifft zwischen dem Gemeinwohl der Stadt (und damit aller Bewohner) und dem Wohl der Anwohner. Hier könnte man sagen, wenn die ganze Stadt über die Bebauungspläne abstimmt, amortisieren sich die Partikularinteressen der Anwohner. Nun wird aber oft nicht auf Landesebene abgestimmt, sondern häufig innerhalb des Bezirks, wo die direkten Anwohner eine deutlich größere Lobby haben. Das Gemeinwohl der Stadt hat hier oft das Nachsehen.
Müßig zu erwähnen, dass sich dieses Beispiel vom Atommüllendlager bis zum Flughafen auf alle Bereiche übertragen lässt.
Pleite Staat Kalifornieren?
In Kalifornien haben zwei Volksentscheide fast zum Staatsbankrott geführt: 1978 begrenzte Volkes Wille die Staatseinnahmen (Prop 13) um im Jahr 1990 die Ausgabenlimitierung abzuschaffen (Prop 111). Die Verwaltung des finanziellen Desasters blieb der Politik überlassen.
Die Berliner Mietenvolksentscheid hat es leicht: sein Anliegen ist sozial, am Gemeinwohl orientiert, trifft den Nerv vieler Berliner und auch die meisten Politiker sympathisierten mit den Zielen. Und er ist teuer. Wie teuer genau lässt sich nicht sagen, irgendwo zwischen 230 Millionen (Berechnung der Initiative) und 660 Millionen Euro (Berechnung des Senats) pro Jahr. Verantwortung für die Ausgaben und Einnahmen trägt jedoch nur der Senat und nicht die Initiative, er muss an anderer Stelle einsparen und die politische Verantwortung für dieses Einsparen tragen. Die meisten politischen Entscheidungen sind eben nicht singular, sondern stehen in Wechselwirkung insbesondere bezüglich der Kosten. Geld das hier mehr ausgegeben wird, muss woanders eigespart werden. Wäre es nicht gerecht, wenn Volksentscheide (zumindest wenn sie wirklich zur Abstimmung kommen) verpflichtet wären eine Gegenfinanzierung ihres Vorschlags mit zur Abstimmung zu stellen?
Zu guter Letzt frage ich mich, wie hoch so ein Quorum sein muss um „gerecht“ zu sein?
In Hamburg haben letztlich 22% (ca. 280 000 JA-Stimmen) die Schulreform verhindert, die von der Koalition (gewählt durch 405 000) in der Hamburgischen Bürgschaft verabschiedet wurde.
Ich freue mich auf deine Antwort, denn eigentlich will ich nur überzeugt werden! Vielleicht ist es ja alles nur eine Frage der Ausgestaltung?
Viele Grüße
Anne
PS: Meine Skepsis wird durch den aktuellen Blick auf deutsche Straßen sehr verstärkt. Ich will nicht das aus der aktuell emotionalen Anti-Asyl-Stimmung Kapital in einem Volksbegehren geschlagen wird. Das mit der Möglichkeit zu Volksentscheiden sehr rechte Protestbewegungen leider nicht verhindert werden können beweist die Schweiz, die genau wie viele andere Länder eine treibende rechtspopulischtische Kraft hat.
Liebe Anne,
Dein Text wäre besser verdaulich, wenn mal jemand Deine Rechtschreibung vor der Veröffentlichung überprüft.
Beispiel:
„Besonders Widersprüchlich für „linke“ Politik durch Volksentscheide ist, das Volksentscheide die Partizipation der unteren sozialen Schichten benachteiligt, …“
Richtig wäre, selbstverständlich:
„Besonders widersprüchlich für „linke“ Politik-durch-Volksentscheide ist, dass Volksentscheide die Partizipation der unteren sozialen Schichten benachteiligen, …“
Und noch schöner, wenn das Ganze etwas konsistenter formuliert würde:
„Eine „linke Politik-durch-Volksentscheide“ erscheint mir insbesondere deshalb widersprüchlich, weil sie die Teilhabe der unteren sozialen Schichten an wichtigen politischen Weichenstellungen tendenziell sogar mindern kann.“
Ob diese Aussage dann allerdings richtig oder nicht richtig ist, steht noch dahin…
nichts für ungut,
yo
Liebe Anne,
Deine skeptischen Nachfragen zu Volksabstimmungen (VA) sind völlig legitim, wie sie auch viele andere Menschen stellen. Ich als Befürworter von VA begrüße diese Fragen, weil sie immer wieder dazu auffordern, dieses Thema in seiner grundsätzlichen Bedeutung zu diskutieren. Gregor hat Dir ja schon recht ausführlich geantwortet und auch ich möchte noch einige Gedanken beisteuern.
Das größte Problem ist m.E., dass die Bewertung von VA zu oft an deren vermeintlichen oder tatsächlichen Ergebnissen und deren Übereinstimmung mit der eignen persönlichen Interessenlage abhängig gemacht wird. Diese intuitive Herangehensweise drängt sich auf, weil im Gegensatz zu Wahlen die Folgen von VA besser erkennbar sind. Bei Wahlen bleibt dieser intuitive Effekt aus, weil die konkreten Folgen einer Wahl erst später sichtbar werden. Deshalb fällt es vielen psychologisch leichter, das Verfahren Wahl eher zu akzeptieren als VA, obwohl beide gleichermaßen nicht mehr sind als ein statistisches Verfahren zur Ermittlung von Mehrheitsverhältnissen.
Keiner der sich (noch) an Wahlen beteiligt, stellt das Prinzip Wahlen in Frage, nur weil evtl. das Ergebnis nicht seiner Interessenlage entspricht. Man wählt immer mit dem Wissen und der Akzeptanz, dass es aus eigener Sicht auch zu einem „falschen“ Wahlergebnis kommen kann. Seltsamerweise gilt diese Akzeptanz nicht für VA, sondern wird unter den Vorbehalt der Abstimmungsinhalte gestellt, was einzig der unterschiedlichen Folgenabschätzung, Überschaubarkeit zu schulden ist.
Man sollte also festhalten, dass VA genau wie Wahlen nur bestehende aktuelle Meinungsverhältnisse abbilden, weshalb VA (meist durch Ablehnung) gleichfalls überwiegend konservativ ausfallen, wie du ja selbst schreibst. Konservatismus ist eine evolutionär vorherrschende psychologische Grundkonstante des Menschen, von der manche Parteien besonders profitieren. Es ist deshalb in der Tat ein Trugschluss, sich von VA progressivere Ergebnisse zu erhoffen, als von gewählten Politikern. VA sind nur selten ein Mittel um Progressives (im ersten Anlauf) Gesetz werden zu lassen, sondern sie dienen vielmehr dazu, Themen jenseits bestehender Meinungsmonopole der Parteien und Medien in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen und damit Meinungsbilder in der Gesellschaft zu verändern (s. das erfolgreiche VBegehren in Brandenburg zur Massentierhaltung). Natürlich steht dieser Weg allen Kräften offen, weil VA eben nicht mehr sind als ein statistisches Verfahren zur Ermittlung von Mehrheitsverhältnissen.
Etwaige Bedenken gegen diesen offenen Prozess von VA müssten dann aber auch gegen das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gleichermaßen erhoben werden: Alle können gewählt werden und es gibt (über die Verfassung hinaus) keine Garantie, dass es immer die „Richtigen“ sind. Destruktive Politik kann auch vom Parlament ausgehen (s. Kriminalisierung von Sterbehilfevereinen unter Missachtung von mehrjährigen Bevölkerungsumfragen).
Ich könnte diese grundsätzlichen Überlegungen auf den Punkt bringen: Was spricht gegen VA, wenn der Parlamentarismus mit vergleichbaren Mängeln behaftet ist? Man kann wie Du hohe Ausgabenfolgen von VA bemängeln, muss dann aber den Parlamentsbetrieb auch an BER, Elblandphilharmonie, Abwrackprämie, Betreuungsgeld usw. messen. Man kann mögliche Stimmungsmache gegen Ausländer per VA befürchten, muss aber schon jetzt mit der AfD leben… Ergo: VA sind nicht mehr als ein Spiegelbild der Gesellschaft, welche sich aber durch Diskussionsprozesse per VA gestalten lässt.
Zum Schluss noch ein Hinweis zu den stets umstrittenen Beteiligungs- bzw. Zustimmungsklauseln. Du verweist bei der gekippten Schulreform in HH auf die geringere Zahl der Befürworter des Bürgerentscheids (BE) gegenüber dem Wähleranteil der Koalition. Es wäre aber zu fragen, warum die 405.000 Koalitionswähler nicht am BE teilgenommen haben, wenn Du unterstellst, dass sie die Koalition auch deswegen gewählt hätten? Wahrscheinlich waren es doch nicht alle, für die die Schulreform Teil ihrer Wahlentscheidung war.
Noch interessanter bei Quoren ist aber, dass fast alle Regierungskoalitionen der Länder mit ihrem Wähleranteil z.B. an einem Zustimmungsqourum von 33%, wie in Meck.-Vorpom. gültig, scheitern würden. Durch die sinkende Wahlbeteiligung sprechen mittlerweile die Argumente, die für Quoren vorgebracht werden, vielerorts auch gegen die Legitimität der gesetzgebenden Landesregierungen. (näheres hier: http://hpd.de/artikel/12157)
Die genaue Ausgestaltung des Verfahrens VA ist ein wichtiger und entscheidender Punkt der Praxis. Noch entscheidender ist aber m.E. das demokratie-theoretische Grundverständnis zu VA im Kopf (welches dann auch die Ausgestaltung mitbestimmt).
Viele Grüße.
Vielleicht haben sie es noch nicht mitbekommen, aber es geht bei Volksentscheiden nicht um Parteipolitik, sondern, um konkrete Themen, die von allen Buergern hervorgebracht werden koennen. Wenn Sie Politik aus einem Guss erleben wollen, seien Sie bitte konsequent und ziehen nach Saudi-Arabien, Katar, den Emiraten oder Nord-Korea.