Die Oscars und die Landtagswahlen

Jagoda Marinić 1Demokratie im Jahr 2016 – Eine Politik für alle

Ich muss so kurz vor den Landtagswahlen doch noch mal auf die Oscar-Verleihung zurückkommen. Was waren deutsche Zeitungen nicht hingerissen von der Kritik gegen das weiße Hollywood: Na endlich wehren sich die Schauspielerinnen und Schauspieler gegen diesen offensichtlichen Rassismus, der hinter der mangelnden Repräsentation steckt. Das Besondere, von hier aus betrachtet: Nicht nur Betroffene prangerten die Missstände an. Berühmtheiten von Will Smith über George Clooney bis hin Meryl Streep auf der Berlinale, alle waren sie dabei. So geht das nicht weiter!

Es gibt da überraschende Parallelen zwischen den Oscars und den Landtagswahlen. Baden-Württemberg ist eines der Länder mit dem höchsten Migrantenanteil bundesweit, schon seit Jahren liegt der Wert bei einem Drittel der Bewohner. Viele sind inzwischen eingebürgert oder hier schon als Deutsche geboren, zählen aber dank der Erfindung des Migrationshintergrunds weiterhin zu den migrantischen Gruppen. In Sachsen-Anhalt, wo auch gewählt wird dieses Wochenende, leben insgesamt gerade mal so viele Migranten wie allein in Heidelberg, statistisch sind es 7%. 7% und 30% Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte. Auf der Ebene der politischen Repräsentation unterscheiden sich die beiden Länder jedoch nicht erheblich voneinander. Kabinett, Ministerien etc. spiegeln die Zusammensetzung der Bevölkerung nicht wieder. Im jetzigen Wahlkampf findet sich für keine Partei ein prominenter Spitzenkandidat mit Migrationshintergrund, nicht einmal in der Vorauswahl. Wenn nun Menschen mit Migrationsgeschichte den gleichen Aufstand um diese Tatsache machen würden wie die schwarzen Schauspieler um die Oscar-Nominierungen, würden hier zig Gründe vorgebracht, die drüben als rassistisch bezeichnet werden, ja, rassistisch, bitte ruhig bleiben, ich spreche ja von drüben, drüben spricht man von Rassismus. Hier bei uns ist ja bekanntlich nie etwas rassistisch. Hierzulande  gibt es einfach keine geeignete Kandidaten und tausend Gründe, die vor allem mit der Schwäche der anderen zu tun haben.

Ich beobachte das seit Jahren mit großem Interesse: Da wird in Deutschland immer jubiliert, wenn in den USA Minderheitendiskurse geführt werden, meistens ist den Underdogs die Sympathie sicher. Egal ob Autorinnen wie Chimamanda Adichie mit „Americanah“ oder jetzt Ta-Nehasi Coates mit „Between the world and me“ – oder eben Hollywood. Immerzu ernten die dortigen Bürgerrechtskämpfer hier Sympathien: „Endlich wehren sich Hollywoods Minderheiten,“ hieß es. „Emanzipation, wunderbar!“ Die Empathie für die Minderheiten in Übersee ist aus mir unerklärlichen Gründen groß, deren Anliegen sind hierzulande nachvollziehbar und das Gerechtigkeitsempfinden der Deutschen ist genau wie eine Wasserwage.

Schwenkt die Kamera jedoch ins eigene Land, haben Minderheitendiskurse so gut wie keine Chance. Wenn Vertreter einer Minderheit auf Mängel hinweisen, weisen Deutsche darauf hin, dass sie bei den eigenen Mängeln aber durchaus noch ein Wörtchen mitzureden hätten, was hier etwas als Mangel definiert werden soll, definiert nicht der Migrant. Das ist ungefähr so, wie wenn das weiße Hollywood gesagt hätte: Wir  entscheiden, ab wann es schlimm ist, dass keine schwarzen Schauspieler nominiert wurden, nicht ihr. Es scheint in den letzten Jahrzehnten nicht ausreichend Aufklärung darüber gegeben zu haben, was Rassismus ist, wie Privilegien vererbt werden und dass man auch dann, wenn man ausländische Freunde hat, die rassistischen Herrschaftsstrukturen verinnerlicht haben könnte. Dennoch scheint man die Diskurse in Übersee nachvollziehen zu können, doch die Transferleistung auf Deutschland bzw. Europa scheint schwierig zu sein.

Verlassen wir einmal die Ebene der Spitzenkadidaten und blicken auf die letzte Legislaturperiode zurück. Herr Oberbürgermeister Salomon in Freiburg hat mich jüngst auf einem Podium in Freiburg darüber belehrt, dass ich nach seinem Kenntnisstand keine Kritik an grüner Integrationspolitik äußern könne, da sich die Grünen- im Gegensatz zu den anderen Parteien – stets die Chancengerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hätten, nur nie und zu keinem Zeitpunkt die Macht der Volksparteien hätten brechen können. Bei der letzten Wahl jedoch haben die Grünen die Macht der Volksparteien gebrochen und sind gerade dabei, im Ländle eine Volkspartei nach dem Modell Kretschmann zu werden. Ich habe nun, obwohl ich es längst wusste, nochmal das Kabinett der letzten Jahre nach sichtbaren Minderheiten durchsucht. Gefunden habe ich Bilkay Öney, Integrationsministerium. Sonst heißt das Kabinett Kretschmann: Hermann, Untersteller,  Bonde, Erler, Krebs usw. Bevor sie jetzt tausend Ausreden für diese Tatsache finden, denken Sie eine Sekunden an die Oscar-Verleihung zurück und wie sympathisch Ihnen die schwarzen Schauspieler*innen waren. Warum ist es hierzulande unerträglich, den Spiegel in dieser Art vorgehalten zu bekommen?

Alles gut, wir haben uns ja Chancengerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben, das ist eine Aussage, mit der man hierzulande politisch durchkommt, ohne an den Ergebnissen auf dieser Fahne gemessen werden zu müssen. Alles gut, Integration ist ein Prozess, wartet noch ein bisschen. Das ist, als ob die Oscar-Jury sagen würde: Ärgert euch nicht über die fehlenden Nominierungen, der Wille ist doch da, er steht sogar seit Jahrzehnten irgendwo festgeschrieben, irgendwann, wenn ihr ganz fest daran glaubt, wird es so weit sein.

So viel Zeit haben wir jedoch nicht. Europa schwenkt nach rechts und das verdankt sich nicht zuletzt der Anfälligkeit europäischer Nationalstaaten für Narrative von einer homogenen Identität. Wenn Deutschland jetzt nicht in Europa vorangeht und das schafft, was z.B. Kanada derzeit vorlebt, dann hat die AfD hier leichtes Spiel und freie Bahn auf dem Weg zur Volkspartei.  Weil „das Volk“ sich wieder so positionieren wird, das Blutrecht gilt und nicht das gegenwärtige Staatsbürgerschaftsrecht. Der Slogan „Das Volk sind Wir!“, den die Pegidisten mißbraucht haben, verliert seine Banalität in dem Moment, in dem die AfD zweistellig in die deutschen Parlamente einzieht. Wir fallen zurück in die Vergangenheit und weit weg scheint das, was am kanadischen Kabinett so beeindruckend ist. Als Kanadas Premier Trudeau gefragt wurde, warum sein Kabinett so vielfältig ist, antwortet er wie ein Mensch, der in der Jetztzeit lebt: „Because it´s 2015!“ Haben wir auch solche Jetztzeit-Menschen in der Politik?

Im Moment reist uns eher in einer Zeitkapsel die Vergangenheit entgegen. Wenn wir nicht aufpassen, wird die Zukunft von ihr verschluck. Die Parteien, die jetzt noch Gehör finden, denen möchte ich, so kurz vor den Landtagswahlen sagen: Macht endlich ernst! Schreibt euch die Integration nicht nur auf die Fahnen, sondern schafft Wandel. Besetzt Eure Ministerien divers, schaut nach den Staatssekretären, lebt in den Verwaltungen vor, was die Gegenwart ist. Die interkulturelle Öffnung der Verwaltungen ist ein machtvolles Instrument, Privilegien zu teilen und eine Normalisierung zu fördern. Den Minderheiten möchte ich am liebsten zurufen: Macht´s doch wie Hollywood. Stellt euch hin, sagt, wo ihr nicht steht, wo man euch nicht zulässt, wo man den Mangel euch zuschreibt statt dem eigenen Unwillen, Privilegien zu teilen. In Sachsen Anhalt sind die wenigen Menschen mit Migrationsgeschichte gebildeter als die meisten ohne, aber trotzdem doppelt so oft arbeitslos.

Es kommen Jahre auf uns zu, in denen noch mehr Menschen mit Migrationsgeschichte hier ihr Leben aufbauen werden. Die neuen Rechten behaupten, einige Menschen gehören weniger zu Deutschland als sie. Das werden sie immer weiter zurück definieren, bis eben wieder nur das Blutrecht gilt. Bis es selbst wieder die hier Geborenen trifft. Die etablierten Parteien müssen jetzt ernst machen mit der repräsentativen Politik. Sie müssen die Eingewanderten der letzten Jahrzehnte und ihre Nachfahren ins Boot holen. Es gehört zu ihrem Bildungsauftrag, aufzuklären, auch über Minderheitendiskurse und Bürgerrechte, statt den Diskurs vorwiegende über Wohltätigkeit zu führen. Das Erkämpfen der Bürgerrechte ist eine der großen europäischen Narrative. Zu viele Menschen waren, werden und bleiben derzeit Nicht-Bürger in Europa, durch die Menschen auf der Flucht werden es jedem Tag mehr. Auch das ist eine Gefahr für die Demokratie, die zu wenige im Blick haben.

Noch vor zwei Jahren waren viele Menschen in Deutschland stolz darauf, das Land in Europa zu sein, in dem keine rechte Partei im Parlament sitzt. Die meisten erklärten es sich mit der vorbildlichen Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit. Das gilt jedoch auch für die jüngere Vergangenheit: Nur wenn alle den Diskurs über das Versäumte führen, wenn alle sich fragen, warum gibt es eigentlich bei diesem Super-Wahlsonntag keine profilierten Spitzenkandidaten mit Migrationsgeschichte – nur dann, haben wir eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft, die der Gegenwart gerecht wird. Doch derzeit sagt die Politik bei uns eher: Because it´s 1980! Das ist dann schon hart anzusehen. Richtig hart ist´s, wenn die Politik eher sagt: Because it´s 1923. Es wäre schon der Hammer, wenn auch deutsche Politikerinnen und Politiker endlich in der Jetztzeit ankämen, und die Vergangenheit nicht immer in der Gegenwart gären würde.

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