Gerhard Schick: #UACumEx: Wie Banken und MillionärInnen die Demokratie aushöhlen

© STEFAN KAMINSKI Gerhard Schick MdB, Bundestagsfraktion Buendnis 90/Die Gruenen

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Gerhard Schick MdB, Bundestagsfraktion Buendnis 90/Die Gruenen

Seit etwa zwei Jahren setze ich mich intensiv mit den sogenannten Cum-Ex-Geschäften auseinander. Leute, die sich nur oberflächlich mit dem Thema beschäftigen, wundern sich, warum ich so viel Zeit und Energie in ein für sie so technisches Problem investiere. Doch der technisch anmutende Titel täuscht: Es handelt sich dabei um den wohl größten Steuerskandal der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Und ich bin überzeugt: Wenn die Demokraten solche Skandale nicht aufarbeiten und verhindern, dass sich solches wiederholt, kann das zum Problem werden – weit über die Finanzpolitik hinaus.

In einer Demokratie, verständigen wir uns auf gemeinsame Regeln des Zusammenlebens. Alle Bürgerinnen und Bürger können aufgrund ihrer Bürgerrechte an diesen Mitwirken. Dafür ist jeder Mensch grundsätzlich verpflichtet, diese Regeln zu respektieren. Sie geben unserer Gesellschaft einen gemeinsamen Rahmen und sind somit zugleich ein Ausdruck unseres demokratischen Willens als auch einen Katalysator für den inneren Zusammenhalt.

Daneben einigen wir uns im demokratischen Prozess darauf, dass wir bestimmte Güter und Dienstleistungen für alle breitstellen und dafür gemeinsam aufkommen. Hierzu gehören bspw. Straßen, Bildung, Spielplätze oder Sicherheit. Da unsere Demokratie u.a. von humanistischen und sozialen Werten geprägt ist, werden in diesem Zusammenhang nicht alle Menschen absolut gleich behandelt. Geht es darum, wie gemeinsame Güter und Dienstleistungen finanziert werden, gilt grundsätzlich das Leistungsfähigkeitsprinzip. Das heißt, jede/r soll zum Allgemeinen in dem Rahmen beitragen, wie dies ihm/ihr möglich ist. Auch beim Zugang zu den gemeinsamen Gütern und Dienstleistungen achten wir darauf, dass besonders diejenigen profitieren, die darauf angewiesen sind. Das heißt, wir unterstützen bspw. Familien mit Kindergeld oder finanzieren älteren Menschen, die nicht mehr arbeiten können, ein Leben in Würde. Sowohl die Identifikation mit bestimmten gemeinsamen Gütern, bspw. der Bildung, als auch die dadurch entstehende Umverteilung sind ebenso zentral für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

Beim Cum-Ex Skandal werden diese beiden grundlegenden Bausteine unserer Demokratie mit Füßen getreten. Darum ist es mir so wichtig, dass wir diesen Skandal aufarbeiten. Denn wenn wir als PoltilkerInnen leichtsinnig über solche Betrügereien hinwegsehen, werden Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in unsere Demokratie Stück für Stück verlieren.

Cum-Ex – Cum-Was?

Was versteckt sich hinter diesem ominösen Begriff „Cum-Ex“? Bei Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um eine Finanzkonstruktion, in die mehrere Akteure involviert sind. Diese schieben Aktien rund um den Dividendenstichtag – also dem Tag, an dem jährlich Gewinnanteile eines Unternehmens an die AktionärInnen ausgeschüttet werden – untereinander hin und her. Mit Hilfe eines ungedeckten Leerverkaufes (jemand verkauft etwas, was er/sie noch gar nicht besitzt) wird eine Situation herbeigeführt, in der vermeintlich mehrere Akteure die gleiche Aktie besitzen. Somit haben vermeintlich alle scheinbaren BesitzerInnen der Aktie eine Dividende erhalten und darauf die Kapitalertragssteuer von 25% bezahlt. Darum fordern jetzt auch alle Akteure diese Steuer vom Finanzamt zurück. Dies geht darum, weil inländische Finanzakteure und Unternehmen, sich die Kapitalertragssteuer unter bestimmten Bedingungen anrechnen oder erstatten lassen können. Da es aber in Wirklichkeit nur eine Aktie gibt, somit nur eine Dividende ausgeschüttet wurde und nur einmal Steuern bezahlt wurde, ist diese doppelte Rückerstattung inakzeptabel. Es kommt einer Situation gleich, in der ein Kind teilweise bei der Mutter und teilweise beim Vater aufwächst, die Eltern gegenüber dem Finanzamt aber so tun, als ob es sich um zwei unterschiedliche Kinder handle, damit sie zweimal Kindergeld kassieren können.

Der Finanzmarkt als Umverteilungsmaschine von unten nach oben

Mit den Cum-Ex-Geschäften wurde der Fiskus um geschätzte 12 Milliarden Euro gebracht. Das sind 12 Milliarden, die nun fehlen für Investitionen in Infrastruktur oder Menschen. Mit 12 Milliarden hätte wir bspw. 24 000 LehrerInnen während 10 Jahren zusätzlich beschäftigen können. In anderen Worten, wir hätten eine ganze Generation besser ausbilden können. Somit sind wir bereits beim ersten Angriff auf die Demokratie. Die Cum-Ex-BetrügerInnen haben Gelder, mit denen wir gemeinschaftliche Güter finanzieren wollten, für sich entwendet und zwar in Riesenmengen. Sie haben sich auf Kosten der Allgemeinheit persönlich bereichert. Dazu ist wichtig zu wissen, dass sich Cum-Ex-Geschäfte nur lohnen, wenn gewaltige Summen von Geld im Spiel sind. Meist wurden dafür Aktienpakete im Wert von dreistelligen Millionenbeträgen verschoben. Somit haben ausschließlich BankerInnen, MillionärInnen und SteuerberaterInnen von den Geschäften profitiert. Sie haben wie so oft den Finanzmarkt als Umverteilungsmaschine von unten nach oben benutzt.

Rechtsgutachten als Persilschein für kriminelle Machenschaften

Alle Beteiligten waren sich bewusst, dass sie sich mindestens im rechtlichen Graubereich bewegten. Die Schweizer Bank Sarasin, die Cum-Ex-Geschäfte an Investoren vertrieben hat, schreibt beispielsweise, dass auf der Grundlage einer steuerrechtlichen Expertise „100 Prozent der investierten Beträge im Risiko sein könnten“ (BILANZ 01/2016, S. 45). Um das Risiko, das sich aus diesem Graubereich ergibt, zu minimieren, haben SteuerberaterInnen fleißig Gutachten geschrieben. Mit solchen Gutachten sicherten sich Banken und InvestorInnen ab, dass sie nichts Illegales täten. Oftmals haben sich die SteuerberaterInnen jedoch gegenseitig Gutachten geschrieben. Einmal war der eine Inhaber eines Fonds und sein Kollege schrieb das Gutachten. Das nächste Mal war es genau anders rum. Zudem haben sie Fachpublikationen verfasst, um die Legalität herbeizuschreiben. Dieses System, in dem sich Kumpels gegenseitig Persilscheine für kriminelle Machenschaften ausstellen und gezielt versuchen, die Gesetzesauslegung zu beeinflussen, ist aus meiner Sicht höchst marode und gefährdet die Rechtssicherheit.

Finanzmarktateure untergaben den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Genauso problematisch finde ich jedoch, dass es anscheinend in diesen Kreisen ganz normal ist, den Staat abzuzocken. Die Akteure geben offen zu, dass ihr Handeln nicht legitim gewesen sei. Sie wussten ganz genau, dass es nicht im Sinne des Gesetzgebers ist, dass eine Steuer erstattet wird, die nie bezahlt wurde. Sie waren sich also bewusst, dass ihr Handeln gegen den demokratischen Willen lief und der Gemeinschaft schadet. Die meisten scherten sich jedoch offenbar nicht darum. Manche und leider ziemlich viele BankerInnen, SteuerberaterInnen und MillionärInnen kümmert es also nicht, wenn sie der Gemeinschaft schaden, die sie erst reich gemacht hat. Die Akteure am Finanzmarkt gefährden somit langfristig den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Der Staat sah 10 Jahre lang zu

Obwohl ich es wichtig finde, klar zu kommunizieren, dass unsere Gesellschaft nicht funktioniert, wenn jede/r bereit ist, für den privaten Nutzen, der Gemeinschaft bewusst zu schaden, so hat der Staat dennoch eine Verantwortung, die Gesellschaft und insbesondere die Steuereinnahmen von diesen BetrügerInnen zu schützen. Schließlich mussten etwa 160000 Menschen 10 Jahre arbeiten (zum Medianlohn) und Einkommenssteuern zahlen, bis die 12 Milliarden zusammen kamen, die anschließend ohne Gegenleistung an Banken und MillionärInnen ausbezahlt wurden. Doch die Politik und Verwaltung zeigte sich in jeder Hinsicht unfähig. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) brauchte trotz zahlreichen Hinweisen 10 Jahre, bevor die Gesetzgebung so geändert wurde, dass Cum-Ex-Geschäfte nun praktisch unterbunden werden. Zwischenzeitlich hatte das BMF die Gesetzgebung jedoch verschlimmbessert. Hierzu übernahm das Ministerium Erläuterungen direkt von einem Lobbyschreiben des Bankenverbandes und kopierte sie in die Gesetzesbegründung des Steuergesetzes 2007. Anschließend nutzten Banken und SteuerberaterInnen genau diese Passagen, um ihre Machenschaften als legal darzustellen. Hinzu kamen zahnlose Rundschreiben des BMF. Doch damit war das BMF in guter Gesellschaft. Die Bankenaufsicht (BaFin) wurde nach jetzigem Wissenstand erst von der Einsetzung des Untersuchungsausschuss aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Während sie angeblich über 10 Jahre lang von den massenhaften Transaktionen in Milliardenhöhe nichts mitbekommen hat, musste sie Anfang diesen Jahres die Frankfurter Maple Bank aufgrund ihrer Cum-Ex-Geschäfte schließen. Aufgeschreckt verfällt die BaFin nun in Aktionismus und fragt alle Banken über ihre Cum-Ex-Geschäfte ab.

Auch die Finanzämter und das Bundeszentralamt für Steuern scheinen nicht in der Lage, die Steuerbescheinigungen richtig abzuwickeln. Wohl erst Ende 2011 fingen sie an, Steuerbescheinigungen unter bestimmten Umständen nicht mehr zu akzeptieren. Dies hätte schon Jahre davor geschehen können und müssen.

Aufklärung aus Verantwortung für unsere Demokratie

Nachdem das BMF also 2012 gesetzlich die gröbsten Schnitzer korrigierte und die Finanzverwaltung anfing Steuererstattungen und -anrechnungen zu verweigern, wurde auch die Justiz aktiv. Es laufen Dutzende Verfahren wegen schwerer Steuerhinterziehung. Banken wie die HSH Nordbank, die LBBW oder die HVB haben bereits jeweils Steuern im dreistelligen Millionenbereich zurückerstattet. Zudem fangen Banken an, ihre eigenen (ehemaligen) MitarbeiterInnen oder ManagerInnen zu verklagen. So verlangt die HVB von drei ehemaligen ManagerInnen Schadensersatz. Doch andere Banken zeigen sich weniger einsichtig. So klagte die Dekabank, weil ihr die Anrechnung von Kapitalertragssteuern aus Cum-Ex-Geschäften verweigert wurde. Mir erscheint es ungeheuerlich, dass ein Institut der Sparkassengruppe, die im Eigentum des Steuerzahlers steht, Cum-Ex-Geschäfte betrieben hat und sie auch noch verteidigt.

Während also die Justiz mit der Aufräumarbeit am Finanzmarkt begonnen hat, ist es für mich ganz zentral, dass auch die politischen Fehler aufgearbeitet und die strukturellen Defizite behoben werden. Darum habe ich während den letzten Monaten auf die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschuss hingewirkt, nachdem die Regierungsfraktionen andere Formen der Aufarbeitung blockiert haben. Für mich war das unverständlich. Denn nur, wenn wir wissen, was auf staatlicher Seite schief gelaufen ist, können wir für die Zukunft ähnliche Probleme verhindern. Und das ist doch entscheidend. Wer zahlt denn in diesem Land noch Steuern, wenn er/sie befürchten muss, dass die Steuerzahlung an BetrügerInnen abfließt und nicht dem Gemeinwohl dient? Mit dem Untersuchungsausschuss möchte ich systematisch aufarbeiten, welche strukturellen Probleme es gibt bei der Verhinderung solcher Steuertricks am Finanzmarkt, um damit zu verhindern, dass sich das Ganze wiederholt. Denn am Finanzmarkt geht das Hase-Igel Spiel auch in dieser Minute munter weiter. In der aktuellen Dividendensaison gehen bspw. dem Fiskus aufgrund von Cum-Cum-Geschäften – dem Bruder der Cum-Ex-Geschäfte – schon wieder Milliarden durch die Lappen.

Als Politiker sehe ich mich in der Pflicht Verantwortung zu übernehmen für die Verwendung der Steuergelder und die Durchsetzung gemeinsam geschaffener Regeln. Nur so erhalten wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie.

 

Gerhard Schick ist Finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen und Mitinitiator des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses

Ein Gedanke zu “Gerhard Schick: #UACumEx: Wie Banken und MillionärInnen die Demokratie aushöhlen

  1. Warum wird die Monetative nicht mehr diskutieren, dann würden Machenschaften erst garnicht existieren.

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