Warum man nicht wählen könnte, aber doch wählen sollte.

Nicol Ljubić 1

Der 27. September 1998 war ein besonderer Tag in meinem Leben, weil er mich glauben ließ, dass sich ein Kreuzchen doch lohnen konnte. Ich bin mit Helmut Kohl als Bundeskanzler groß geworden bin. Es schien ein Naturgesetz, dass Kohl regierte. Er war ins Amt gekommen, als ich elf war, und ging kurz vor meinem 27. Geburtstag. Meine erste Wahlbeteiligung im Jahr 1994 hatte daran nichts geändert, aber meine zweite. Kohl und seine CDU wurden abgewählt, und ich verspürte eine Euphorie, wie ich sie bis dahin nur aus dem Stadion gekannt hatte, wenn Werder Bremen kurz vor dem Abpfiff das Siegtor schoss (so wie kürzlich gegen Hoffenheim). Ich war mir sicher: vieles würde sich ändern, ein neuer Geist würde das Land durchwehen. Ich mochte Gerhard Schröder nicht sonderlich, war ihm aber dankbar, dass er mir die Hoffnung wiederbrachte. Die Hoffnung auf Veränderung und den Glauben an die Politik.

Natürlich wurde ich enttäuscht. Weiterlesen…

Wir können alles, außer leben

Jagoda Marinić 1„Demokratie, das ist nicht nur ein Kreuz, das man alle paar Jahre setzt.“ Demokratie ist weit mehr. Das war früher der Besorgnissatz in Sachen Demokratie. Vor zehn Jahren noch. Heute lautet er „Wie kriegen wir die Leute dazu, dass sie ein Kreuz machen?“ Mehr wollen wir gar nicht mehr. Die weltoffene WELT ernennt dann auch kurzum den Nicht-Wähler zum neuen Typus des mündigen und entschlossenen Demokraten, weil der den Politikern endlich klarmacht, dass sie nicht wählbar sind. Das ist ungefähr so logisch, wie Eltern, die nie da sind, zu sagen, dass sie gute Erzieher sind. Mag sein, dieser nichtwählende Bürger ist ein ehrlicher Zeitgenosse. Es ist aber vor allem ein Zeitgenosse ohne Wahloptionen. Und somit muss sich auch die WELT fragen: Nehmen diese oft 50% Nichtwähler denn noch Teil an dieser Demokratie, wenn ihnen das Wählen abhanden kommt? Bei der letzten OB Wahl in Mannheim gingen – bei drei Kandidaten – nur noch 30% zur Wahlurne. Und wie sollten Politiker so noch an Wähler kommen? Oder an ihre Interessen. Weiterlesen…

Traurige Abende für die Demokratie

Nicol Ljubić 1Am Wahlabend wird die Demokratie verraten. Zur besten Sendezeit, im Hauptprogramm, jedes Jahr wieder, bei jeder Wahl. Sie wird verraten von den Spitzenpolitiker der Parteien, die unser Land regieren. Es ist längst zum Ritual geworden. Das letzte Mal vorgeführt am 10. Mai, am Abend der Wahl in Bremen. Die Fakten: Die SPD verliert 5,8 Prozent, kommt auf 32,8 Prozent. Die CDU gewinnt 2 Prozent, kommt auf 22,4 Prozent. Aber vor allem: Die Wahlbeteiligung liegt bei 50,1 Prozent – das heißt: jede zweite, der hätte zur Wahl gehen können, hat es unterlassen. Weiterlesen…